Mittwoch, 7. Mai 2014

Wie ich es sehe…von Folke Stengel

Folke Stengel, Mitbegründer der Bürgerinitiative „Verkehrsbelästigung Schiefbahn Nord“

Wie ich es sehe….

Die Landflucht ist nicht aufzuhalten. Die Politik übersieht diesen Umstand, was zu Fehlern führen wird.

Sie mögen meinen, es ist ein Fehler hier nach China zu schauen. Peking ist ein Paradebeispiel dafür, was unseren Metropolen in ein paar Jahren bevorstehen kann/wird. Unsere Großstädte wachsen, benötigen künftig mehr Bodenfläche für ihre Ausdehnung, oder sie wachsen in die Höhe. Die Bevölkerungsdichte wird steigen.
Das Ruhrgebiet mit 5 Millionen Bewohnern rangiert als Ballungsgebiet auf Position 78, Berlin mit 4,3 Millionen Menschen an 95. Stelle. Peking mit seinen 20 Millionen Einwohnern
steht an 13. Position der weltgrößten Großstädte. Die Einwohnerzahlen dieser Ballungs-gebiete werden Prognosen zufolge von der Einwohnerzahl her zunehmen. Junge Menschen drängen in die Städte. Studium, Arbeit, pralles Leben, den Wohlstand genießen. Die Anziehungskraft der Großstädte leidet nicht unter kaum bezahlbarem Wohnraum, unter hartem Wettbewerb um gute Jobs, oder unter Kindergarten- und Ausbildungsplätzen. Es entsteht eine neue Urbanisierungswelle für das soziale Gefüge unserer Republik. Neue Sehnsuchtsorte  wie München, Berlin, Hamburg und Dresden ziehen junge Menschen an.
Soziologen nennen sie Schwarmstädte. In den Dörfern bleiben die Alten und Bedürftigen zurück, verfällt die Infrastruktur, weil Steuereinnahmen wegbrechen und  Schlüsselzu-weisungen des Landes sinken. Deutschland erlebt 25 Jahre nach dem Mauerbau eine neue Teilung in Reich und Arm, übervölkert und untervölkert, modern und rückständig.
Ein schleichender Prozess, der weder aufzuhalten noch umzukehren ist. Früher gab es nur wenige Großstädte. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde auf dem Land zur Nahrungs-produktion benötigt. Der Transport dieser Güter war über weite Strecken einfach zu teuer.
Heute arbeiten noch zwei Prozent der Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft. Groß-konzerne versorgen uns mit billigen Lebensmitteln aus aller Welt. Es gilt den Flächen-verbrauch zu stoppen und die Weichen für eine andere Zukunft zu stellen. Schrumpft die Bevölkerung ist die staatliche Daseinsvorsorge in altem Umfang  bald nicht mehr tragbar.
Die Schließung von Schwimmbädern und Schulen, Spielplätzen, Marktplätzen, Veranstaltungsräumen  in der Provinz ist und Krankenhäusern bereits in vollem Gange -  Weniger Menschen brauchen weniger Infrastruktur. Dennoch malen Kommunalpolitiker in der Provinz krampfhaft weitere Pläne für neue Baugebiete und Gewerbeparks auf der grünen Wiese, drängen sie auf Verschönerung von Innenstädte – in der Hoffnung, so die Bevölkerungszahl und das Steueraufkommen stabilisieren zu können. Schlauer wäre das Gegenteil: der gezielte Rückbau von Institutionen und Infrastrukturen in der Fläche. Standards müssten neu definiert, menschenentleere Dörfer auch aufgegeben werden. Jeder soll weiterleben wo er mag, aber niemand darf erwarten, auf dem Land die gleiche Lebensqualität und die gleichen Internet-Geschwindigkeiten vorzufinden wie in der Großstadt.  Das Weniger-Werden ist eine Chance, alte Strukturen neu zu denken, die Verwaltung der Verkehrssysteme, auch die Energieversorgung.  E-Governace könnte viele Rathäuser überflüssig machen, eine Föderalismusreform den Weg frei machen für ein neues Raumverständnis – das nicht auf die Bewahrung alter Idyllen abzielt, sondern auf die Verhinderung städtebaulicher Katastrophen- wie die unserer Megastädte der Zukunft.
Städte wie Willich bleiben Vororte und ihre jungen Einwohner ziehen in die Stadt um. Zurück bleiben Menschen die zu Rollatoren greifen müssen.

Geschrieben in Anlehnung an den Leitartikel „Vom Weniger-Werden“  von Franz W. Rother

in der WirtschaftsWoche # 18  vom 28.04.2014